Die Betreuungszahlen in der Schweiz liegen nach aktueller Forschung deutlich zu hoch
In der Debatte um Qualität in der rechtlichen Betreuung ist das Thema der dafür benötigten Zeit und ihrer Vergütung zentral und umkämpft: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mehr Zeit pro Betreuungsfall die Betreuungsqualität steigert. Angelegenheiten der Betreuten können sorgfältiger recherchiert und geregelt werden; es besteht eher die Chance, herauszufinden, was tatsächlich den Wünschen der Betreuten entspricht und sie bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen; Weiterbildung und Selbstreflexion der Betreuer oder kollegiale Fallbesprechungen ist grosszügiger bemessen.
Quelle: Zeitbudgeterhebung unter Berufsbetreuern, ISG 2016
Schweizerische KOKES-Empfehlungen für Fallzahlen viel zu hoch
Das Kölner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) kommt in seiner gross angelegten Studie zur Qualität in der rechtlichen Betreuung, das vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Auftrag gegeben wurde, unter Einbezug detaillierter Befragungen von 2'491 Berufsbetreuern zum Schluss, dass die zeitlichen Aufwendungen zum Zeitpunkt der Mandatsaufnahme durchschnittlich bei 8,6 Stunden liegen und sich nach dem dritten Jahr bei etwas weniger als 4 Stunden pro Monat einpendeln. Damit ist die zeitliche Belastung von Berufsbeistandspersonen in der Schweiz entsprechend den KOKES-Empfehlungen, die mit 1,3 bis 2,2 Std./Monat und Betreuendem rechnen, um ein Vielfaches höher.[1]
Die Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung der Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände (SVBB-ASCP) muss dringend reduziert und präzisiert werden
Der SVBB-ASCP kommt 2012 in einer wissenschaftlichen Studie am Beispiel von Biel (BE) zum Schluss, dass eine Berufsbeistandsperson im Erwachsenenschutz mit einem Anstellungsgrad von 100% und einer administrativen Unterstützung von 100% maximal 70 Fälle pro Jahr führen kann. Werden ausschliesslich kindesschutzrechtliche Mandate geführt, so ist die Fallobergrenze um ein Drittel auf maximal 45 Fälle zu reduzieren.
Qualität in der rechtlichen Betreuung
ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
Zweiter Zwischenbericht | 2. Februar 2017
Vergleich Berufsbeistand und Berufsbetreuer
Das 2013 in der Schweiz eingeführte Erwachsenenschutzrecht (ESR), dass das mehr als 100-jährige Vormundschaftsgesetzt abgelöst hat, entspricht in den wesentlichen Grundzügen dem deutschen Betreuungsrecht: Schutz und der Unterstützung erwachsener Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind. In der Schweiz gilt analog zur deutschen Formulierung: Die Aufgabenkreise einer Betreuung geben die Bereiche vor, für deren Besorgung das Betreuungsgericht den Berufsbetreuer im Beschluss bestellt hat. Hierbei ist zu beachten, dass der Betreuer nur für Aufgabenkreise zu bestellen ist, in denen die betreute Person tatsächlich einer gesetzlichen Vertretung bedarf.
Überwiegende Mehrzahl der Berufsbetreuenden bzw. Berufsbeistandspersonen sind Sozialarbeitende
Das Berufsbild des Berufsbetreuenden ist mit demjenigen der Berufsbeistandspersonen weitgehend identisch[2]. Sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland verfügt mit ca. 70-Prozent der weitaus grösste Teil der Berufsbeistandspersonen bzw. der Berufsbetreuenden einen höheren Bildungsabschluss in Sozialer Arbeit.
[2] Vgl. Anforderungsprofil für Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände