Rezension

VON MARCEL BORER

Dem Autoren- und Ehepaars Patrick Fassbind und Monika Spring misslingt der Spagat – angefangen von jüngeren Kindern über Grosseltern hinweg bis hin zu Sozialdiensten und Gerichten – gründlich, den Lesenden ein sinnvolles Hilfsmittel an die Hand zu geben. Zudem wirkt die Broschüre insgesamt lieblos und billig gemacht. Die schwarz-weiss Zeichnungen des Illustrators Adrian Weber kommen altbacken und stereotyp daher: Die (schlechten) Eltern zerren am Kind, der (vermittelnde) Sozialarbeiter trägt Bart und trinkt Tee, die (gute) Kindesschutzbehörde stellt Kinder unter den schützenden Schirm etc.

Völlig im Dunkeln bleibt, weshalb – wie es das Ehepaar Fassbind Spring auf vorderster Seite prominent anpreist – «Juris» das ideale Geschenk sein soll für Kinder, die sich in einem Kindesschutzverfahren befinden, und was sie beim Lesen stärkt. Wo die Autoren in einem Satz lapidar erklären, dass die Gerichte oder Kindesschutzbehörden einem Kind eine Kindesvertretung zur Seite stellen können, wünscht man sich, dass Fassbind als Leiter einer städtischen KESB auch darlegt, wie die Kinder ihr Recht auf anwaltliche Interessenvertretung konkret durchsetzen können. Doch hier verweist er einzig auf das rechtliche Gehör, in dessen Rahmen sie sich vor der Richterin, dem Richter oder dem Behördenmitglied äussern können. Zu billig und zu simpel eben.

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Wenn die Comicfigur Juris einmal gross ist möchte er, wie seine Mami, Advokat werden. Der neunmalkluge Juris erklärt so von der Idee beseelt auf dem Pausenplatz, dass es – wenn sich Mami und Papi trennen – am Ende für die Eltern, aber vor allem für das Kind stimmen müsse: «Im Streitfall muss die Kindes­schutz­behörde entscheiden, was für das Kind die bestmögliche Lösung ist.»

Das Ehepaar Fassbind erklärt, dass die Gerichte oder Kindes­schutz­behörden einem Kind eine Kindes­ver­tretung zur Seite stellen können. Hier hätte man sich gewünscht, dass Fassbind als Leiter der KESB Basel-Stadt darlegt, wie die Kinder ihr Recht auf anwaltliche Interessen­ver­tretung durchsetzen können. Er verweist einzig auf das rechtliche Gehör, in dessen Rahmen sie sich vor der Richterin, dem Richter oder dem Behörden­mitglied äussern können.

Juris erklärt seiner Schulkollegin Nina weiter, dass sie einen Beistand habe, da die vom Gericht oder der KESB angeordnete Abklärung ergeben habe, dass die Eltern mit ihrer Erziehung oder Betreuung nicht zurechtkommen und dieser Mami und Papi unterstützt, damit sie gut für ihr Kind sorgen können: «Er schaut, ob Ninas Mami und Papi gut für sie sorgen. Und er hilft ihnen, gute Eltern zu sein und miteinander klar­zu­kommen.» Streiten die Eltern und reden sie nicht mehr miteinander, so kann der Beistand vermitteln.

Aus Sicht des Ehepaars Fassbind liegt eine Kindes­wohl­gefährdung bei­spiels­weise dann vor, wenn Eltern nicht um ihr Kind kümmern und es ver­nachlässigen, weil ihnen möglicher­weise alles zu viel ist, da sie krank sind oder aus anderen Gründen nicht mehr weiter­wissen. Oder wenn sie das Kind psychisch oder physisch misshandeln, indem sie es unter Druck setzen, drohen oder wehtun, ihm sagen, dass sie es nicht mehr lieben oder es sonst­wie verletzen. Und eben auch, wenn sich Eltern darüber streiten, wann und wie lange ihr Kind bei ihnen sein darf. Jede Gewalt gegen Kinder ist verboten und ist ein Zeichen dafür, dass eine Familie Hilfe braucht und die Eltern Unter­stützung in Anspruch nehmen müssen. Es muss sich etwas ändern, sonst kann es sein. Dass irgendwann die Kindesschutzbehörde informiert wird und eingreifen muss.

Juris erklärt, dass die Lehrerin im Falle seiner Schul­kollegin Eva bei der Schul­leitung auf deren blaue Flecken aufmerksam und die Schule bei der Kindes­schutz­behörde eine Ge­fährdungs­meldung eingereicht hat: «Eine Ge­fährdungs­meldung können alle machen, die Schule, Eltern, Nachbarn und auch Linder. Man wendet sich an die Kindes­schutz­be­hörde und sagt, dass man denke, dass ein Kind Hilfe oder Schutz brauche. Die schauen sich dann die Situation an, sprechen mit den Leuten und schauen, wer was braucht, damit es dem Kind gut geht.»

Leo klopft Juris auf die Schulter: «kein Wunder, muss man ewig studieren, um dieses Rechts­zeug zu verstehen. Und Nina lächelt ihn an: «Danke, Juris, du wirst bestimmt einmal ein toller Advokat». Doch Juris hebt nur die Hand zum Abschied und macht sich auf den Weg in die Bibliothek, um seine Nase in einem dicken Gesetz­buch zu vergraben.

Idee und Texte
Monika Spring Fassbind & Patrick Fassbind

Illustration
Adrian Weber

© Baeschlin, Glarus 2018
ISBN: 978-3-85546-344-2
Preis CHF 9.90

Die Autoren Monika Spring Fassbind & Patrick Fassbind werden von der Christoph Merian Stiftung mit 48'700 Franken (2018-2019) unterstützt. Die Auflagenzahl von «Juris» ist nicht bekannt.

Der Baeschlin Verlag in Glarus wird vom Bundesamt für Kultur unterstützt mit einem Strukturbeitrag in der Höhe zwischen 7500 Franken (Minimum) und 80 000 Franken (Maximum) pro Jahr. Nähere Auskunft wollte das Bundesamt für Kultur auf Anfrage nicht erteilen.

Juris – eine Geschichte über Kinderrechte und Kindeswohl

Rezension von Marcel Borer

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